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Verallgemeinerte Boltzmann-Gleichungen und die zellulären Automaten

Nach einem gleichlautenden Vortrag im
Sommerfeld-Seminar am 12. März 1997

Wolfgang Eisenberg

Auszug, Original erschienen in [1], S. 5565 (PDF-Kopie)

Inhalt

1. Einleitung

2. Die Boltzmann-Gleichung – die Grundgleichung der kinetischen Theorie

3. Lösungsmethode der zellulären Automaten

4. Verallgemeinerungen: Quanten-Boltzmann-Gleichungen (Quantum kinetic theory)

5. Dynamische Systeme und Statistische Mechanik zellulärer Automaten

6. Ausblick

1. Einleitung

Die Statistische Physik ist eine der drei Säulen der Moderne in der theoretischen Physik – neben der Quantenphysik und der relativistischen Physik. Wichtig für unsere Thematik ist ihre Charakteristik als methodische Grundlagendisziplin, weniger ihre Ausprägung als spezielles Gebiet der Physik mit definiertem Objektbereich, wie z.B. die Hydrodynamik oder die Elektrodynamik. Vor einer Anwendung der Statistischen Physik sind zwei Grundprobleme zu klären, das Problem der Elementarprozesse, d.h. der Prozesse von Einzelteilchen, z.B. der Einteilchen-Dynamik, und das Problem der Statistik vieler Teilchen, d.h. das Zusammenwirken vieler Teilchen mit Korrelationen und kooperativen Effekten. Die disziplinspezifischen Grundgrößen sind die Temperatur und die Entropie. Die Grundprozesse sind die der Irreversibilität und die der Evolution. In der Statistischen Physik unterscheidet man zudem hauptsächlich drei Methoden zur Beschreibung der Systembewegungen:

  1. Stochastik von Prozessen (Ad-hoc-Annahmen) – z.B. die Langevin-Gleichung zur Beschreibung der Brownschen Molekularbewegung;
  2. Kinetische Theorie (erste Prinzipien, Nicht-Gleichgewicht) – z.B. die Boltzmann-Gleichung als Transport-Gleichung;
  3. Response-Theorie (erste Prinzipien, Gleichgewichtsschwankungen; andere Bezeichnungen: Statistische Antwort-Theorie oder Kubo-Formalismus oder Korrelationsfunktionsmethode oder Methode der Greenschen Funktionen): Liouville-Gleichung.

Tatsache ist, daß die Naturprozesse meist markovsch, d.h. ohne Gedächtnis, sind und daher die „gedächntislose“ Boltzmann-Gleichung so vielseitig – wenigstens näherungsweise – anwendbar ist. Ein weiterer Vorteil der Boltzmann-Gleichung als Grundgleichung der kinetischen Gastheorie ist die aus ihr leicht ableitbare und näherungsweise gültige sogenannte elementare Gastheorie (historische Vorstufe der Kinetik). Ihre einfachen Konzepte wie die der anschaulichen mittleren freien Weglänge und der mittleren Stoßfrequenz von Gasteilchen überzeugen in ihrem Anwendungsbereich. Weitere typische Anwendungsbeispiele sind die Diffusion oder Wanderung (mit/ohne Sprünge) von Teilchen und der vom elektrischen Widerstand geprägte Teilchentransport im äußeren Kraftfeld. Daher ist schon der Nachweis, daß sich zelluläre Automaten zur Lösung der Boltzmann-Gleichung und ihrer Verallgemeinerungen eignen, mitentscheidend für das Anwendungsspektrum solcher Automaten. Denn die Strukturterme der Boltzmann-Gleichung, der Diffusions-, der Feld- oder der Stoßterm, bedingen und begrenzen die Zuordnung konkreter Anwendungen (auch mit Adhoc-Annahmen) in dieses allgemeine Strukturschema der genannten Grundgleichung der kinetischen Theorie. Damit ist die Berechnung z.B. von Transportkoeffizienten, Relaxationszeiten physikalischer Prozesse und Geschwindigkeitskonstanten der chemischen oder biochemischen Reaktionen nicht nur aus dem akademischen Bereich, sondern natürlich auch aus dem Industrie- und Umweltbereich durchführbar.

Literatur

[1] W. Eisenberg, U. Renner, S. Trimper, B. Fritzsche, K. Vogelsang: Synergie, Syntropie, nichtlineare Systeme. Heft 3: Soft computing – Kuriosa. Verlag im Wissenschaftszentrum Leipzig, 2000. ISBN 3-933531-21-7


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